Am Dienstagabend hat das US-Außenministerium Visa-Sanktionen gegen Mitglieder eines angeblichen „globalen Zensur-industriellen Komplexes“ verhängt. Der bekannteste Sanktionierte ist der frühere EU-Kommissar Thierry Breton, der eine tragende Rolle für den europäischen Digital Services Act (DSA) spielte.
Daneben gehören die Gründerin des britischen Global Disinformation Index (GDI), Clare Melford, und der Gründer des in Großbritannien und USA tätigen Center for Countering Digital Hate (CCDH), Imran Ahmed, zu denjenigen, die künftig Einreisebeschränkungen für die USA unterliegen. In Deutschland haben die USA mit Anna-Lena von Hodenberg und Josephine Ballon die Geschäftsführerinnen von HateAid sanktioniert.
Feindlicher Akt gegen europäische Souveränität
Die Sanktionen erfüllen zwei Funktionen: Sind sind einerseits ein feindlicher Akt gegen die europäische Gesetzgebung des Digital Services Acts, dem auch die US-amerikanischen Tech-Konzerne unterworfen sind. Die EU-Verordnung enthält vor allem für sehr große Tech-Konzerne zahlreiche Pflichten: etwa zu Moderation und Transparenz, zur Löschung illegaler Inhalte oder dem Schutz von Nutzer:innen vor manipulativem Design.
Diese Gesetzgebung versuchen die mittlerweile sehr nahe an den autoritären Trump gerückten Tech-Milliardäre von Musk bis Zuckerberg schon seit Langem und nun mit verstärkter Hilfe der Trump-Regierung zu attackieren. Früher mit massiver Lobbyarbeit in Brüssel, jüngst auch mit Zoll-Drohungen und jetzt mit Sanktionen gegen zivilgesellschaftliche Organisationen, die die Umsetzung des DSA mitgestalten.
Es handelt sich bei den jetzigen Sanktionen um einen direkten Angriff auf die Souveränität Europas, selbst digitale Märkte zu regulieren und die eigenen Gesetze gegen Konzerne auch durchzusetzen. Die Sanktionen sind Angriff auf die Rechtsstaatlichkeit, denn nichts anderes ist die Durchsetzung von Recht und Gesetz.
Bestrafung und Einschüchterung
Die zweite Ebene ist die Bestrafung, Markierung und Einschüchterung politischer Gegner:innen. Die jetzt durch ihre Mitglieder sanktionierten Nichtregierungsorganisationen sind alle gegen Hassrede, illegale Inhalte und Desinformation tätig. Natürlich sind solche Organisationen denjenigen ein Dorn im Auge, deren Aufstiegs- und Machterhaltungsstrategie auf Hass, Lügen und Desinformation aufbaut. HateAid ist nicht umsonst hierzulande ein Lieblingsgegner der rechtsradikalen AfD und ihrer rechtskonservativen Steigbügelhalter.
Während US-Präsident Trump in den USA mit der New York Times die renommierteste Zeitung des Landes zum „Gegner des Volkes“ deklariert und die „Einschläferung“ des Satirikers Stephen Colbert fordert, malen er und seine Anhänger:innen das Schreckgespenst eines allmächtigen europäischen Zensurapparates an die Wand. Gleichzeitig übernehmen Trump-Getreue die US-Medienlandschaft und ein regierungsnahes global agierendes autoritäres Netzwerk von Tech-Konzernen hat sich gebildet. Die Realität ist also: Die Meinungsfreiheit ist in den USA in Gefahr – und weniger in Europa.
Bei den jetzt verhängten Einreiseverboten für die Betroffenen dürfte es nicht bleiben. Die Mitarbeitenden von HateAid wurden als „radikale Aktivisten“ klassifiziert, die ihre Organisationen als Waffe einsetzen würden. Es kann gut sein, dass die Organisationen ihre Social-Media- und sonstigen Accounts bei US-Konzernen verlieren könnten. Die Sanktionen gegen HateAid sind als Drohung gegen alle zu verstehen, die sich kritisch mit US-amerikanischen Tech-Konzernen auseinandersetzen.
Jetzt scharf und entschieden protestieren
Gegen das Vorgehen der US-Regierung müssen die Bundesregierung und die EU-Kommission scharf und entschieden protestieren. Es geht dabei um nicht weniger als die europäische Unabhängigkeit, selbst über die hier geltenden Gesetze zu entscheiden. Es geht darum, dass wir in der EU mit unseren 450 Millionen Einwohner:innen selbst aushandeln, welche Regeln bei uns gelten. Und dass wir uns nicht alles von den Konzernen der Oligarchen gefallen lassen, auch wenn diese bei Donald Trump auf dem Schoß sitzen.
Neben der europäischen Souveränität geht es auch darum, hier tätige zivilgesellschaftliche Organisationen in ihrer Handlungsfreiheit zu schützen. Sonst müssen in Zukunft alle möglichen Akteure damit rechnen, von den USA bestraft zu werden, wenn dies der autoritären Führung der USA und ihren Oligarchen nicht in den Kram passt. Es geht also um nicht weniger als um die politische und wissenschaftliche Freiheit unserer Zivilgesellschaft.
Jetzt sind also Bundeskanzler Merz und Kommissionspräsidentin von der Leyen gefragt, deutliche Worte und eine politische Antwort zu finden, damit dieser Präzedenzfall der Einschüchterung nicht unerwidert bleibt. Auch wenn heute Heiligabend ist.

Die nächste Eskalationsstufe könnte dann die Sperrung von Konten, auch in Deutschland, unter Missbrauch von SWIFT-Infrastruktur sein – das traf jetzt schon mehrere Organisationen aus dem linken Spektrum:
https://taz.de/Alle-Konten-gekuendigt/!6140903/
Zum einen war und ist es offizielle US Doktrin, dass sich die USA an keinerlei internationalen Regelungen halten muss und ihre Gesetze überall und gegen jeden durchsetzen kann. Das Geheule ist nur dann immer gross, wenn es die eigene in-group trifft.
Zum anderen wird Merz eine scharfe Note an das Weisse Haus senden, sobald man deren Fax-Nummer gefunden hat. Jawoll.
Die nächste Eskalationsstufe dürfte dann – unter Missbrauch der Macht über SWIFT-Infrastruktur – die Kündigung von Bankkonten sein, wie es gerade erst einigen Organisationen aus dem linken Spektrum passiert ist:
https://taz.de/Alle-Konten-gekuendigt/!6140903/
Oder der Ausschluss von sämtlichen US-Diensten, wie den Richtern des Internationalen Strafgerichtshofes, damit auch Zahlung per Kreditkarte oder Paypal, Buchung vieler Hotelketten, etc.
Einreisebeschränkungen sind ja noch minimal. Nicolas Guillou wurde von den USA als Richter des Internationalen Strafgerichtshofs wesentlich schärfer sanktioniert, folgenlos für die USA.
Letztlich könnte Trump einen Drohnenschlag anordnen, die Europäer würden es nach etwas Geschrei auch akzeptieren.
Der Kommentar befasst sich mit einem wichtigen Thema. Aber ich kann mich des Eindrucks nicht verwehren, dass hier nur ein kleiner Teilaspekt eines viel umfassenderen Angriffs auf die europäische Zivilgesellschaft behandelt wird. Ein weiterer Teilaspekt sind Kündigungen des Bankkontos bei linken Organisationen wie dem Rote Hilfe e. V. Ich glaube aber, dass noch niemand von uns bislang einen Überblick darüber hat, auf welchen verschiedenen Wegen die europäische Zivilgesellschaft gerade parallel angegriffen wird.
Wir alle müssen identifizieren, wo wir angreifbar sind – IT-Dienstleistungen, Software, soziale Netzwerke, Bankwesen, Verteidigung usw. – und uns um Lösungen bemühen, die nachhaltig unsere Unabhängigkeit und Souveränität gewährleisten. Es ist unsere individuelle Verantwortung, dass wir Akteuren, die uns zu schaden versuchen, die Unterstützung versagen.
Zu Kündigungen von Bankkontos siehe beispielsweise:
https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/hilfe-e-v-kuendigungen-bankkonten-deutschland-ofac-li.3358715
https://www.nd-aktuell.de/artikel/1196419.repression-per-debanking-die-zeiten-werden-haerter.html
https://taz.de/Alle-Konten-gekuendigt/!6140903/
Ja, das alles berührt Themen von politischer, digitaler und finanzieller Souveränität, die miteinander verwoben sind. Wir haben darüber einiges berichtet: https://netzpolitik.org/tag/digitale-souveraenitaet/
Das US-Außenministerium (State Department) wird von US Secretary of State Marco Rubio „geführt“. Zu dieser Personalie ist zu bemerken, dass Herr Rubio bis zuletzt noch von einigen als der einzig verbliebene „Erwachsene“ in der Trump-Administration angesehen wurde. Dies weil es so schien, er habe abweichende Ansichten zu der MAGA-Bewegung und zum ideologischen Vance-Flügel. Wer glaubte, wenigstens Herr Rubio zähle zu den „Vernünftigen“, bei dem noch Reste transatlantischer Werte vorhanden wären, der sollte spätestens jetzt aus seinen Illusionen aufwachen. Dieser hybride Angriff gegen die EU und Deutschland ist erst der Anfang.
Wie groß die Kluft zu der Trump Regierung inzwischen geworden ist zeigt sich daran, dass Anna-Lena von Hodenberg den Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier noch vor wenigen Tagen anlässlich des Tages der Deutschen Einheit am 1. Oktober 2025 überreicht bekommen hat.
Dieser Angriff gegen eine Person, die sich in Deutschland und Europa für Menschenrechte im digitalen Raum einsetzt, und dafür mit höchster Auszeichnung geehrt wurde, stellt einen Affront gegen die Bundesrepublik Deutschland dar. Dies zudem noch kaltschnäuzig zu Weihnachten zu inszenieren ist eine Niedertracht, die in den diplomatischen Beziehungen zu den USA bisher beispiellos ist.
Die Empörung über die Trump-Regierung ist absurd.
Ein Deutschland und ein Europa, das sich über Jahrzehnte derart von den USA abhängig gemacht hat, muss sich doch nicht wundern, das es nun unter einer Regierung Trump wie eine tributpflichtige Provinz behandelt wird.
Und trotzdem setzt die verantwortliche Politik in Deutschland und in der EU auf ein weiter so. Braucht eine Trump-Administration nicht mal ihre politischen Staathalter von AFD, Reform, VOX bis Orban und Meloni.
Zudem vieles von dem Handeln der USA (in der Vergangenheit und heute) sich nicht viel von dem unterscheidet, was eine EU und einzelne ihrer Staaten selbst taten und tun: internationales Recht und eine regelbasierte internationale Ordnung nur dann willkommen sind, wenn es den eigenen Interessen dient. Und ansonsten dies gerne ignorieren oder sogar diesem zuwider handeln.
Weshalb die Alternativen, die viele hier aufzeigen (etwa Macron), nichts anderes wären, als eine Art EU in der Rolle der derzeitigen Trump USA und damit um kein Stück besser. Eine Politik des Stärkeren, nicht einer wertebasierten internationalen Ordnung – für alle.
Nur das für die EU und Deutschland hier gilt: „Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben“
Ich muss widerwillig einräumen, dass der Umgang mit der Kleinen Anfrage der CDU („Ein Angriff auf die Demokratie“) ein peinliches Eigentor in Richtung „Getroffene Hunde bellen“ war.
Außerdem stellt es eine Desinformation dar, dass digitale Souveränität erst durch Trump wichtig geworden sei. Aus dem Mund bzw. der Tastatur von Leuten, die selber über die Enthüllungen von Edward Snowden geschrieben haben, wäre das „wider besseren Wissens“.
Um hier das Meinungsspektrum etwas zu erweitern: das eine ist die staatliche Einmischung der USA, das andere die kritische Betrachtung dessen, wofür die Betroffenen stehen.
Ersteres ist eine Unverschämtheit und wird gerade ausreichend kommentiert.
Das andere ist die dennoch notwendige Diskussion darüber, ob Institutionen wie die, für die die beiden Betroffenen stehen, indirekt hoheitliche Aufgaben übernehmen, ohne dabei ausreichender demokratischer Kontrolle zu unterliegen. Ich habe schon auch meine Probleme damit, wenn legitime von illegitimer Meinungsäußerung anhand einer vermeintlich erkennbaren Gefühlslage wie „Hass“ unterschieden und einzelne Institutionen eine Deitungshohheit über diesen Begriff zuerkannt wird, die außerhalb der Justiz als fünfte Gewalt agieren können. Wenn man einen Politiker am Stammtisch mit Kraftausdrücken kommentiert, dann kann man da über eine Stilfrage streiten. Wenn das gleiche im Netz aber als „Hass“ wegmoderiert oder zensiert wird, dann wirkt das wiederum auch auf die Frage zurück, ob man seinen Gefühlen nun am Stammtisch noch ggf. deftig Ausdruck verleihen darf, insb. wo oben gerade „online wie offline“ propagiert und damit m.E. der nächste kommunikative Unsinn fabriziert wird. Und bevor nun alle auf „den Stammtisch“ wettern: Um den Stammtisch geht es mir nicht, er steht in diesem Kommentar für einen Diskursraum an dem „offline“ Meinungsäußerung und Meinungsbildung stattfinden und darum geht es.
Anti-Amerikanismus war schon immer ein beliebter und wohlfeiler Anwurf gegen jene, die politische, wirtschaftliche und militärische Bindungen und Abhängigkeiten zu den USA kritisierten.
Devotismus gegenüber den USA sicherte auch vor Trump gute Geschäfte. Wie geht es nun weiter, wenn nicht nur „NATO minus USA“ droht, sondern eine kriegerische Auseinandersetzung mit den NATO-Mitgliedern Kanada oder Dänemark (Grönland)? Welche Rolle werden die US Military Installations auf EU Territorium haben, und in Deutschland insbesondere? Und was fehlt noch zur Erkenntnis, dass der „atomare Schutz“ durch die USA im Ernstfall nicht wert ist? Wird es wieder „Ami go home“ Rufe geben?
Trump/Vance/Rubio machen einen aktuellen und differenzierenden „Anti-Amerkanismus“ zur existentiellen Notwendigkeit.
Protest ohne negative Konsequenzen ist der US Regierung vollkommen egal, und das mit Recht.
Die einzige sinnvolle Reaktion ist europäische Souveränität. Leider stehen dem die Transatlantiker quer durch alle Parteien und Medien entgegen.
In der Diplomatie wären geeignete Gegenmaßnahmen solche, die reziprok und gleichwertig sind. Das hat sich bewährt und wird verstanden. Die Methode nennt sich tit for tat.
Die Trump-Administration wählt das Mittel Einreiseverbot als Sanktion gegen 5 Personen, die sich gegen Hass im Internet stellen. Eine Person ist ein ehemaliger französischer Minister und ehem. EU-Kommissar. Eine Person ist Trägerin des Verdienstkreuz am Bande der Bundesrepublik Deutschland. 2 Personen sind Britische Staatsbürger.
Die EU kann nach dem BREXIT nicht für das UK sanktionieren. Bleiben 3 Personen übrig von gleichem Rang und ziviler Bedeutung, die sich besonders durch Verbreitung von Hass und Desinformation „qualifiziert“ haben.
Sollte die EU nicht tätig werden, wären Frankreich und Deutschland zu einer reziproken Sanktion herausgefordert.
Nichts zu unternehmen, käme einer Aufforderung an die Trump-Administration gleich, so weiter zu machen. Das kann nicht im Interesse der betroffenen Staaten sein.